Latvia

III. Non-Conformism in Latvia: From Art to Activism

Inessa Rinke

Art Collectiing in Latvia

Seit der Etablierung der sowjetischen Macht waren in Lettland das Sammeln von und der Handel mit Kunst unter strikter Kontrolle. Jeder private Sammler wusste, dass nicht nur seine Sammlung, sondern auch seine Freiheit in ernster Gefahr waren, einschließend kriminelle Verfolgung und sogar Gefängnis. Private Sammler, die in Lettland blieben, wußten, dass das Vermeiden von Öffentlichkeit bezüglich ihren Eigentümern der beste Weg war, sich und ihre Erwerbungen zu schützen. Die Sammlervereinigung konnte einen gewissen legalen Status garantieren, doch das weckte die Aufmerksamkeit der Informanten des KGB. Das hiess, dass 90% des Handels privat waren.

Das staatliche Kunstmuseum war ein privilegierter Sammler. Die Museumsexperten konnten die wertvollsten Kunstwerke vom einzigen erlaubten Antiquitätengeschäft, das klassische lettische und europäische Kunstverkaufen durfte, auswählen. Dieses Monopol ermöglichte, die Museumssammlung zu passenden Preisen zu vervollständigen.

Künstler hatten konnten ihre Werke nur durch den einzigen Salon im Besitz der sowjetischen Kunstvereinigung verkaufen. Der Stil und der Inhalt von Kunstwerken der Mitglieder der Künstlervereinigung mussten mit den Idealen des Sozialistischen Realismus übereinstimmen. Der Geist des sozialistischen Realismus herrschte vor in den offiziellen Ausstellungen und ebenso in den Museumsausstellungen. Moderne Kunst blieb in privaten Sammlungen und Künstlerstudios für 50 Jahre vorborgen.

Besonders in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren entwickelte sich schnell nicht-konformistische Kunst in den baltischen Ländern. Die liberalen Reformen, eingeführt durch Michael Gorbatschov und bekannt als "Glasnost" und "Perestrojka", ermutigten viele Künstler, aus ihren Studios zu kommen und ihre mutigen Ideen offen auszudrücken. Die freie Künstlervereinigung in Riga, die die Ausstellungsprogramme kontrollierte, wurde geführt von Džemma Skulme, einer Nachfahrin der berühmten Künstlerfamilie Skulme, und ihrem Ehemann Ojārs Ābols; sie luden nicht-konformistische Künstler zur Teilnahme in der legendären Ausstellung "Natur. Umgebung. Mensch", veranstaltet 1984. Diese schockierte das Publikum, die lokalen Kreise der kommunistischen Partei und rückwärtsgewandte Künstler und provozierte den Zorn von Kuratoren aus Moskau. Die Ausstellung wurde mit einem Skandal einen Monat vor der vorgesehenen Zeit geschlossen, doch das Publikum hatte sie bereits gesehen und nahm die mit gesellschaftlicher Kritik versehenen Arbeiten der Künstler an. Auf eine gewisse Weise legitimierte die Ausstellung Installationen und Happenings – gesellschaftlich aktive Kunstwerke, die in offiziellen Ausstellungen zu zeigen zuvor unmöglich waren.

Mutige und unabhängige Persönlichkeiten wie die Künstler Ojārs Pētersons, Oļegs Tillbergs, Andris Breže, Juris Putrāms, Kristaps Ģelzis, Leonards Laganovskis, Ivars Poikāns und Mitglieder der Künstlergruppe “Gentle Fluctuations” nahmen an Ausstellungen sowie an unvergleichlichen Aktivitäten der Kunsttage teil.

Die Kunsttage beinhalteten eine Reihe von Aktivitäten, wie Happenings in Fußgängerunterführungen, Installationen auf Stadtplätzen, Plakate und großformatige Drucke (genannt “supergraphics”), die gegen die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten des Regimes waren. Seit Mitte der 1980er Jahre entwickelte sich das Ausstellungsleben Rigas in zwei parallelen Welten, ungewöhnliche Symptome aufdeckend – in zentralen Ausstellungsplätzen gab gab es die den regulären Parteikongressen zugeordneten Ausstellungen, die sozialistische Ideologie und den Kommunismus preisend, während in den peripheren Zonen auch die Arbeiten nicht-konformistischer Künstler auftauchten. Der polygraphische Klub und das Planetarium waren die besonders populären Ausstellungsorte unter den Intellektuellen. Die Information über die nächste Veranstaltung, die dem führenden Regime widersprach, verbreitete sich von Mund zu Mund. Nicht-Konformisten aus Moskau und St. Petersburg, wie Francisco Infante, Timur Novikov und “Africa”, und die estnischen Künstler Jüri Arrak, Raul Meel, Tönis Vint und Leonhard Lapin stellten hier aus.

Die Rigaer Künstlerkreise waren bereits seit den frühen 1970ern gewöhnt an nicht-konformistische Aktivitäten – von Andris Grīnbergs’ skandalösen Happenings bis zu Miervaldis Polis’ und Līga Purmale’s fotorealistischen, in ihren Kellerateliers ausgestellten Gemälden. Provokante Ausstellungen von Plakaten, Drucken und Entwürfen zeigten kontroverse künstlerische Sprache und Ideen, die die gesellschaftlich kritische Einstellung der Rigaer Künstler bewiesen.

In den Ateliers von Džemma Skulme und Ojārs Ābols waren immer die konstruktivistischen und kubistischen Originalwerke von Džemma’s Mutterer Marta und ihrem Vater Oto zu sehen, gemeinsam mit westeuropäischen Kunstmagazinen, theoretischen Werken und, natürlich, Kunstwerken der beiden Künstler, die die Traditionen der Avantgarde fortführten, die in den 1920ern wurzelten. Das Atelier von anderen Mitgliedern der Rigaer Künstlergruppe – die Räume von Romans Suta und Aleksandra Beļcova – können ebenfalls als ideologische Zentren gesehen werden, kritisch mit der kommunistischen Partei. Ihre Tochter, die Kunsthistorikerin Tatiana Suta informierte üblicherweise interessierte Zuhörer, künstlerische Prozesse im unabhängigen Zwischenkriegs-Lettland und die Teilnahme von lettischen Künstlern in Berlin, Paris, Moskau und St. Petersburger Avantgarde Aktivitäten kommentierend.

Die liberalen Führer der Künstlervereinigung waren in ihren politischen Einstellungen radikal und die Mitarbeiter der Volksbewegung mit dem Namen Volksfront wurden an der Schwelle zu den 199ern aufgeweicht unter den Voraussetzungen der Organisationen der Künstler und Literaten. Viele non-konforme Künstler nahmen aktiven Anteil an diesem Prozess und verteidigten auf den Barrikaden von 1991 die Unabhängigkeit Lettlands, nahmen an Treffen, Protestdemonstrationen und anderen Aktionen teil, die gegen das Regime gerichtet waren.

Der Kalte Krieg und die politische Konfrontation zwischen der Sowjetunion und der westlichen Welt inspirierten das Entstehen von vielen bemerkenswerten Kunstwerken hinter dem Eisernen Vorhang, das Interesse von westlichen Sammlern an nicht-konformistischer Kunst fördernd. Viele wichtige Kunstwerke kamen im Diplomatengepäck in berühmte Sammlungen; ein Beispiel ist die Norton and Nancy Dodge Collection in den USA, später geschenkt an das Jane Voorhees Zimmerli Art Museum, Rutgers University, New Brunswick / New Jersey. Baltische Künstler waren dort ausführlich repräsentiert durch 3 200 Kunstwerke, gemeinsam mit russischen Non-Konformisten. Die Sammlung von Peter Ludwig im Museum in Aachen sollte als die wichtigste Sammlung in Europa angesehen werden; er wählte auch Kunst von lettischen Künstlern. Andere wichtige Sammlungen, gezeigt in vielen Ausstellungen, gehören der Moskauer Sammlerin Tatiana Kolodzei, der amerikanischen Kunsthistorikerin Elena Korneichuk und dem extravaganten estnischen Sammler Matti Milius, der seine Sammlung durch Freundschaften mit Künstlern und anderen Leuten mit verschiedenstem Hintergrund zusammen brachte.

In den 1970ern und 80ern war das Sammeln von Postern und Drucken in Lettland weit verbreitet. Die graphischen Künste waren im Vergleich zur Malerei vom Staat weniger kontrolliert. Es öffnete sich dort in weiteres Feld für Experimente. Das zog Intellektuelle an, die Kunst suchten, die sich vom Stil des Sozialistischen Realismus unterschieden, und die sich die Käufe wegen der günstigeren Preise der Poster und Drucke leisten konnten. Es gab herausragende Meister für Poster in Lettland (Juris Dimiters, Laimonis Šenbergs, Ilmārs Blumbergs u.a.), die ihre Werke ohne offizielle Erlaubnis zu internationalen Wettbewerben sandten und oft wichtige Preise bekamen. Kunstwerke wurden direkt in den Künstlerateliers beschafft. Intellektuelle stellten üblicherweise diese Arbeiten in ihren Wohnungen aus.

IV. Die Rolle der Infrastruktur

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