Estonia

Zuhause und weg

Eero Epner

Art Collecting in Estonia

Doch obwohl Kunst sammeln nicht sehr weit verbreitet war (eine seltsame Alternative dazu war das Sammeln von verschiedenen Objekten, die im Westen Massenprodukte waren, wie etwa Etiketten von Bierflaschen, Kaugummiverpackungen und Bierdosen in verschiedener Formen), gab es eine bestimmte und qualitativ bemerkenswert hoch stehende Sammlung, welche erwähnt werden sollte, wenn über die ganze Nachkriegszeit gesprochen wird. Dies ist die Norton and Nancy Dodge Sammlung im Zimmerli Kunstmuseum (an der Rutgers University in New Jersey), welche sowjetische Untergrundkunst der Zeit zwischen 1956 und 1986 zusammenführt. Das ist die größte Sammlung dieser Art (bestehend aus etwa 20.000 Kunstwerken), erworben durch einen Wirtschaftsprofessor und seine Frau über Jahrzehnte. Dazu hören auch einige Werke von estnischen Künstlern. Sie ist zweifellos eine der wichtigsten Sammlungen estnischer Kunst und besitzt alle besten Eigenschaften einer privaten Sammlung: sie ist konzeptuell klar, der Auswahlprozess war streng, die Kunstwerke sind von durchgehend hoher Qualität und der Sammler hat eine persönliche Verbindung mit den Werken.

Es gibt keine andere Sammlung wie diese von den Dodges. Sicher, gelegentlich kaufte ein Finne ein Kunstwerk und der estnische Auswanderer Henn Koch begann Ende der 1970er eine kleine Sammlung von erotischer Kunst. Hier und dort kamen einige Kunstwerke nach Russland und anderswo, aber eine große und wohl überdurchdachte Sammlung estnischer Kunst entstand nicht, weder in Estland noch im Ausland. Ein gesondertes Phänomen sind die Sammlungen, die in den 1940er Jahren ins Ausland flohen (nach Schweden, Kanada, Australien, in die USA oder anderswo). Einen guten Überblick darüber fehlt immer noch, doch bestehen beispielsweise die Sammlungen von Alur Einans, henry Radevall oder Madis Üürike in Schweden nicht nur aus älteren Kunstwerken, die bei der Flucht aus dem Land mitgenommen wurden, sondern auch aus sogar neuerer westlicher Kunst sowie neueren Arbeiten von estnischen Ausländern (viele bekannte Künstler verließen Estland in den 1940er Jahren, hatten aber in den Kunstszenen ihres neuen Landes keinen Erfolg und fuhren fort, ihre Kunst hauptsächlich in den Kreisen der estnischen Auswanderer auszustellen und zu verkaufen.) Der wichtigste Sammler mit estnischen Wurzeln war Harry Männil, der während dem Krieg nach Venezuela ging und eine der größten Sammlungen von vorkolumbianischer amerikanischer Kunst aufbaute. 1997 rangierte Männils Sammlung unter den 200 wichtigsten Kunstsammlungen der Welt. Zusätzlich zu vorkolumbianischer amerikanischer Kunst war Männil auch von zeitgenössischer lateinamerikanischer und südamerikanischer Eingeborenen-Kunst fasziniert. Männli war definitiv einer der angesehensten estnischen Kunstsammler aller Zeiten. Nur er hat ein gewisses Verständnis der internationalen Szene und behandelte das Kunstsammeln getrennt vom nationalen Diskurs über das Bewahren von kollektiven Erinnerungen. Die meisten Anderen, die flohen, sahen in ihren Sammlungen vor allem sentimentale Werte, die ihnen halfen, Erinnerungen an ihr Heimatland zu bewahren. Eduard Wiiralt's Druck, eine Eiche darstellend, die nahe Vijlandi wuchs (Eichen sind zufolge uralten Überzeugungen heilig), hing, wurde gesagt, an den Wänden von Wohnungen von hunderten von estnischen Auswanderern. Für ihre Besitzer war er nicht wichtig wegen seiner künstlerischen Qualität, sondern wegen seinem ideologischen Wert. Es ist deshalb nicht überraschend, dass im letzten Jahrzehnt die Arbeiten von estnischen Künstlern zurück nach Estland zu fließen begannen, weil die neue Generation dort nicht länger eine persönliche  und gefühlsmäßige Bindung zu Estland hat, und die Werke estnischer Künstler sind nun unglücklicherweise nur in Estland relevant.